11 Jahre ist es her, dass ich das Essay „Art and the Zen of web sites“ in Absprache mit dem Autor Tony Karp ins Deutsche übersetzte und die Übersetzung ins Internet stellte: Kunst und der Zen von Websites. Der Aufsatz hatte zu seiner Entstehungszeit (1998) viel Aufmerksamkeit erregt, und auch heute noch finden zahlreiche Besucher jede Woche ihren Weg zu meiner deutschen Übersetzung. Das ist für mich Grund genug, mir den Text im Rückblick noch einmal anzuschauen und neu zu bewerten.
Humor is King
Viele der in Karps Artikel konkret angesprochenen Webdesign-Problemkreise spielen heute keine große Rolle mehr: Das Blink-Tag ist geächtet, Frames sind zum Aussterben verurteilt, und von Web-Awards spricht heute auch niemand mehr. Dennoch hat der Tenor des Aufsatzes nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Viele Jahre schon, bevor Jakob Nielsen in der breiten Öffentlichkeit mit seinen Thesen zum Usability-Papst avancierte und bevor mit dem Slogan ‚Content is King‘ technische oder gestalterische Überbetonung in Schranken verwiesen wurde, plädierte Karp für Usability und Nutzerorientierung, für die unbedingte Bewertung von Inhalten vor Technik und Design. Seine eindringliche und originelle Art das zu tun, dürfte vielen Lesern die wesentlichen Elemente guten Webdesigns näher gebracht und dabei ein Schmunzeln ins Gesicht gezaubert haben.
Wo ist das Gegenstück in der realen Welt?
Mich persönlich hatte folgende Passage des Essays bezaubert:
Ein letzter Zen-Gedanke
Bevor Sie irgend etwas auf Ihre Website stellen, sollten Sie sich darüber Gedanken machen, worin dessen Gegenstück in der realen Welt besteht. Benutzen Sie diese Überlegung als Richtschnur. Wenn es kein Gegenstück in der realen Welt gibt, ist dies ein schlechtes Zeichen.
Ich fand diese Maxime immer wieder äußerst hilfreich, insbesondere, wenn mir als Marketing- oder Projektmanager in Webprojekten Bewertungsmaßstäbe fehlten oder ich sie nicht verständlich vermitteln konnte. Ein kleines Beispiel:
Gezielte Non-Usability
Ich hatte einen Kunden, bei dem sich die Usability-Maxime zu einem Tabu verselbstständigt hatte; die Forderung nach maximaler Benutzerfreundlichkeit hatte ein Level erreicht, auf dem ich es als schwierig empfand, mit dem zu konzipierenden Webshop auch die geforderten Marketingziele zu erreichen. Die Diskussion darüber mit dem Kunden war schwierig, zu abstrakt, zu weltfremd, und ich erinnerte mich an Karps Ratschlag, das Gegenstück in der realen Welt zu suchen. Mein Kunde und ich fanden es bei einem bewussten Rundgang durch einen großen Heimwerkermarkt. Der Markt war gut sortiert, man fand sofort, was man suchte, er war in idealer Weise ‚usable‘. – Bis auf den finalen Weg zur Kasse, auf dem sich uns große Aufgebote an should-have und nice-to-have Artikeln – durchaus umsatzträchtig – als Hindernisse in den Weg stellten. Durch diese kleine Präsentation in der realen Welt wurde meinem Kunden schlagartig verständlich, dass Nutzerfreundlichkeit durchaus auch umsatzhemmend sein kann und das Verhältnis zwischen Marketing und Usability nicht immer geradlinig ist.
Hier geht es zum Essay Kunst und der Zen von Websites.