Viele Callcenter sind durch den Social Media Boom verunsichert, da ihnen Erfahrungswerte fehlen, die Auswirkungen auf ihre Branche abzuschätzen. Anbieter von CRM-Software preisen Upgrades an und erzeugen den Eindruck, das Thema wäre mit einer rein technologischen Erweiterung auf neue Kommunikationskanäle von Tisch. Doch Social Media Integration erfordert einen Paradigmenwechsel, Monitoring und Markenstrategie werden zu zentralen Aspekten, und die Anforderungen an Callcenter Agenten werden größer. Wer aber die sich ergebenden Chancen wahrnimmt, kann sich am Markt gestärkt als Kommunikationsspezialist positionieren.
Keine Angst vor Social Media!
Berührungsängste gegenüber Social Media sind immer noch weit verbreitet und erinnern an die zögerliche Haltung vieler Unternehmen in den 1990er Jahren, sich mit dem World Wide Web anzufreunden. Doch die gute Nachricht gleich vorweg: Nein, Social Media sind garantiert kein kurzfristiger Hype, der bald wieder verschwinden wird. Es rentiert sich also, sich damit zu befassen.
Szene-Treffpunkte des Internet
So wie die Corporate Websites, Webshops und Auktionsplattformen des kommerziellen WWW ihre Entsprechungen in den Geschäften, Einkaufszentren und Shopping Malls der materiellen Welt finden, so spiegeln Social Media deren soziale Treffpunkte wieder: Cafés, Bars, Spelunken, Clubs, Vereine, Volkshochschulen, kulturelle Veranstaltungen usw. Viele der Internet-Communities basieren auf gemeinsamen Interessen, und sie weisen prägnante soziodemografische Merkmale auf, wodurch sie sich als ideale Werbeplätze bzw. Absatzmärkte für Unternehmen eignen. Während es in der materiellen Welt jedoch gewöhnlich zu aufwändig und daher unrentabel ist, Zehntausende kleiner Communities und Interessensgemeinschaften zu beobachten und zu bewerben, ist dies im Internet durchaus möglich. Mehr noch – Social Media erreichen meist wesentlich größere Nutzergruppen (Facebook behauptet von sich über 500 Millionen aktive Mitglieder zu haben) und bieten andererseits Schnittstellen und Hilfsmittel, Zielgruppen zu selektieren und effizient zu erreichen. Facebook bietet beispielsweise die Möglichkeit, Fotofreunde, eingegrenzt nach Alter und Wohnort, anzusprechen, Diskussionsforen mit Tausenden von Mitgliedern sowie bloggende Meinungsbildner stellen Werbeplätze bereit, und per Twitter könnte man schnell und effizient auf einen Hotfix für ein Softwareproblem einer Digitalkamera hinweisen. Dies sind nur wenige Beispiele dafür wie sich Social Media in Marketing und Support einsetzen ließen.
Vertraute Analogien
Viele der Social Media haben Vorbilder bzw. Ähnlichkeiten in der materiellen Welt. Oft ist es nützlich, sich solche Analogien vor Augen zu führen, um die Mechanismen des Social Web besser zu verstehen. Das Gegenstück zu Foren sind in der materiellen Welt beispielsweise Debattierclubs, Vereine, Cafés und Bars, die Analogie zu Twitter besteht in Graffiti, Losungen und Pinnwänden, Blogs finden ihre Entsprechung in Editorials und öffentlichen Tagebüchern.
Definition von Social Media: schwammig, aber brauchbar
Eine allgemeingültige Definition von Social Media bzw. des Web 2.0 ist schwierig, da beide Begriffe eine Vermischung von Technologien und sozialen Strukturen bzw. Funktionen umfassen. Gewöhnlich kommt man aber mit den Umschreibungen „Mitmachweb“ oder „User generated Content“ gut aus: Foren, Wikis (kollaborative Wissenssammlungen), Blogs (öffentliche Internet-Tagebücher), Chats, Mikroblogging (Shoutboxen, Twitter etc.), Instant Messaging, soziale Netzwerke (Facebook, MySpace, XING, Singlebörsen etc.), Bewertungsplattformen – um nur die wichtigsten zu nennen. Apps werden gewöhnlich per se nicht als Social Software bezeichnet, sondern es handelt sich um technologische Alternativen zu Browserdiensten. Im Zusammenhang mit Callcentern müssen sie jedoch ebenfalls berücksichtigt werden.
Auf den Punkt gebracht: harte Fakten für Callcenter
Social Media nehmen an Bedeutung rasant zu, und viele Internet-affine Zielgruppen lassen sich ohne sie kaum noch effektiv erreichen. Andererseits erwarten diese Zielgruppen, dass „ihre“ Marken in „ihren“ Medien Präsenz zeigen und plattformtypische Kommunikationskanäle bereit stellen. Freilich erhöht sich der Aufwand. Da Social Media Kommunikation sich im Wesentlichen in schriftlicher Form, mit jeweils unterschiedlichen Kommunikationskulturen abspielt, erhöhen sich die Anforderungen an die Qualifikationen von Call Center Agenten sowie die Schulungsaufwändungen. Die Vermischung von Unternehmenspräsentation und Kommunikationskanälen erfordert eine stärkere Vernetzung von Unternehmensbereichen wie Brand, Marketing, Vertrieb und Service – mit angemessener strategischer Positionierung dieser Querschnittsfunktionen. Monitoring und Kommunikation rücken untrennbar zusammen. Für Unternehmen, die bereits erfolgreich Multichannel Communication integrierten, bleibt der technologische Mehraufwand jedoch überschaubar: Social Media stellen dann im Prinzip lediglich zusätzliche Channels dar, die in der Infrastruktur adäquat abgebildet werden müssen.
Das Kleingedruckte
Die Risiken sollen nicht verschwiegen werden. Social Media zeichnen sich durch außerordentliche Dynamik aus. Ständig entstehen neue Anwendungen, bestehende Plattformen verändern sich und ihre Popularität unterliegt unvorhersehbaren Modeschwankungen. Dem Wandel unterliegen sowohl die Zielgruppen, die Technologien der oft proprietären Implementierungen als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen (Stichworte: Gerichtsorte, Datenschutz). Der Einstieg in Social Media kann unerwartete Risiken bergen und ist daher vorher sorgsam abzuwägen. Es sollte nicht unter der eigentlichen Hauptmarke experimentiert werden, und es ist eine nachhaltige Strategie zu entwickeln, die auch eine sorgfältige TCO-Analyse umfasst. Ein Beispiel: Wer sich darauf einlässt, Foren zu beobachten und punktuell Hilfestellung zu leisten, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er seinen Kunden möglicherweise falsche Signale setzt. Die Folge könnte sein, dass Support-Suchende sich in Zukunft nicht mehr an das Call Center wenden, sondern in Internetforen so lange Radau machen, bis der Support vorbeikommt. Auch die Anpassung an vorherrschende Kommunikationsformen („Authentizität“) ist nicht immer unproblematisch, Kollisionen mit dem Charakter der Marke müssen überdacht werden.
Social Media selbst nutzen!
Anstatt Social Media lediglich als zu bearbeitende Kanäle zu betrachten, können Callcenter natürlich auch ihrerseits Social Media einsetzen und nutzen. Hier sind beispielsweise Wikis zu nennen, die als Ergänzung oder Alternative zu Helpdesks durch Mitarbeiter gepflegt werden. Per Crowdsourcing lassen sich Endkunden motivieren, andere Kunden zu werben oder zu beraten („Nutzer helfen Nutzern“, „Nutzer werben Nutzer“), Mitarbeiter in Führungspositionen können in Blogs intern strategische Akzente setzen bzw. Geschäftspartnern Kompetenz unter Beweis stellen und sie binden.
(Exzerpt aus einem Artikel für die Call Center World-Ausgabe der Kundendialog-Fachzeitschrift TeleTalk – Magazin für erfolgreiche Kommunikation)
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